Günther
Thiersch
09. Juni 1914 - 17. Oktober 1986
Dr. Ernst Schremmer
Studium der Germanistik,
der klassischen Philologie und
Kunstgeschichte
Vorstandsvorsitzender der
Ostdeutschen Galerie, Regensburg
Eröffnungsansprache
zur Ausstellungseröffnung am 11. November 1979 im Kunstverein Elmshorn
Humor und Ironie bei Günther Thiersch
Eine der jüngsten Arbeiten des Künstlers, die Radierung mit den Weihnachts- und Neujahrswünschen, zeigt auf konzentrierte, liebenswürdige und doch hintergründige Weise Charakteristika seiner künstlerischen und ethischen Aussage. Wie aus diesem kleinen Blatt ist aus den meisten seiner Bilder, Objekte, Zeichnungen und graphischen Arbeiten die - der Ausdruck sei erlaubt - ernste Verschmitztheit, die hintergründige Botschaft seiner Kunst zu ersehen.
Da sind, dekorativ eingesponnen, Elemente, Motive, Vokabeln seines Malens und Zeichnens sinnbildhaft kombiniert. Die Wünsche sind in ein helles Medaillon eingraviert, das, wie eine Weltkugel an einer Kette hängt, auf einem Röhrenrahmen, der die Vertikal- und Horizontalverspannung der graphischen Bildstruktur betont und dessen Strenge zugleich von runden Formen aufgehoben wird. Die Mauer, aus der sich die eigentliche Darstellung wie aus einem Fenster zeigt, ist eine Scheinmauer, hinter der sich eine weitere (die eigentliche?) auftut. Tapetenhaft ist die Verhüllung eben dieser Scheinmauer aufgerissen, auf Verfall, aber ebenso auf Erneuerung deutend. Aber frohlocken wir nicht zu rasch über so freundlicher Idylle! Denn was sich so verspielt wie eine Kartusche gibt, noch unterstützt durch Scheibenformen, nach Art der Maschinenrädchen, das mag trügen. Die Andeutung eines Räderwerkes links oben verliert an Eindeutigkeit und verstärkt den Eindruck des Ungewissen, des Hinfälligen. Und die Kette gar, an der die Weltscheibe (Weltkugel) hängt, ist sehr fragwürdig geflickt, mit einem rissigen Seil. Das sind Hinweise auf Zerfall und Bedrohung, aber auch wieder nicht ohne helle, heitere Töne, nicht ohne Zuversicht. Diese Deutung mag sehr persönlich sein, sie erscheint aber gerechtfertigt angesichts eines künstlerischen Gesamtwerks, das sich stetig aus einem latenten Spannungsverhältnis, einer Fülle von zur Balance gebrachten Spannungen herauskristallisiert hat.
Günther Thiersch ist, aus manchen Traditionen kommend, ohne Eingrenzung vornehmlich der surrealistischen Richtung zuzurechnen. Aus seinen beruflichen und privaten Beschäftigungen - zwischen Technik und Kunstgeschichte sowie Kunstlehre - hat er eine sehr sinnfällige, technisch perfekte Handschrift entwickelt. Die Variationen über wenige Themen sind mit erstaunlichem Reichtum durchgespielt. Vielen der Arbeiten entsprechen Titel, die auf einem Dualismus, einer Polarität beruhen und somit Hintergründiges, Doppelbödiges anzeigen. Aber man hüte sich davor, solche Titelhinweise in Richtung auf eine "literarische“ Mal- oder Zeichenkunst hin zu verstehen. Sie mögen nur die Aussage bestätigen, unterstützen, die sich mit rein bildkünstlerischen Mitteln artikuliert. Das kommt aus einer Zeichensprache, deren Ironie aus dem Entgegensetzen von Heutigem und längst Vergangenem, von Maschine und Körper, von Statik und Dynamik in vielfältigen Durchdringungen sich verständlich macht.
Zu den kontroversen, in sinnbedeutenden Bezug gebrachten Gegensatzpaaren mag das von Romantik und Intellektualität, oder besser von Gefühl und Vernunft hinzugefügt werden. Aus nur scheinbar willkürlichen Konstruktionen folgen Hinweise, auch solche auf Thierschens Mitgift aus dem Schlesischen, ein gewisses Getuppeltsein.
"HOMO MACHINAE SIMILIS“ - Der Mensch der Maschine ähnlich - das bezeichnet sowohl das Gleich- wie das Anderssein, einschließlich der Warnung vor dem Gleich-Machen. Der Körper wird zum Mechanismus - das sind Warnzeichen. Die Maschine wird zum Organismus - das sind Hoffnungszeichen; sind sie doch vorgetragen mit einer humorigen Abgründigkeit, die die Maschine aufhebt, ad absurdum führt, anachronistisch werden lässt oder zumindest relativiert. Mit den malerischen Mitteln des vor allem in der Renaissance entwickelten Trompe-l’oeil, des künstlerischen und gekünstelten Augentrugs, raffiniertem Einsatz von Licht und Schatten und oft sparsamsten Andeutungen präsentiert sich zugleich ein Techniker als Erfinder, auch als Erfinder sinnlos gewordener Technik. Das ist in den letzten Jahren immer sublimer gelungen. Dabei verlässt Thiersch das zu unmittelbar, vordergründig und satirisch Ausgespielte inhaltsreicher Gestaltungen wie etwa in der Reihe der ,,Intermezzi“, in der sich der Künstler als Humorist und Satiriker angemeldet hatte.
Die Technik wird so ernst oder so unernst genommen, wie es gerade notwendig erscheint, als Voraussetzung, aber auch als Begrenzung und Bedrohung der Zivilisation, bis in die banalsten Alltäglichkeiten hinein: "Denkmal für eine Schraube“ etwa . Die Technik wird sowohl romantisiert wie dämonisiert, liebevoll beschattet wie angegriffen oder verspottet. Gemeint ist aber der, nur in seinen Instrumenten und in den Instrumenten, die ihm Fesseln bedeuten können, anwesende Mensch. Da gibt es technische Traumlandschaften, Albtraumlandschaften, die poetisch-malerisch-musikalisch gestaltete Erzählung von technischen Märchen, die anheimeln und zugleich bestürzen.
Thiersch bleibt aber zwischen der farblichen und gestalterischen Aggressivität der Pop-Kunst und apokalyptischen Visionen. Das Spielerische, die ernste Heiterkeit, der warnende Humor tragen eine Kunst, die aus sich genossen, verstanden und bedacht werden will. Darin hat er sich, auch experimentierend, verschiedenste Materialien collagierend und komponierend angeeignet. Bei den Objekten, die oft mit sehr konkreten, auf die Werkstoffe und technischen Fundstücke hinweisenden Titeln aufwarten, wird dreidimensional durchgespielt, was in meisterhafter Konzentration immer wieder auch in der Zweidimensionalität weitergeführt wird.
Der ganz auf die Zeichnung beschränkte Günther Knipp, auch er aus Schlesien stammend, fast eine Generation jünger, hat auf seine Weise, wie wir glauben, belegen zu können, eine verwandte Grundaussage gefunden, wenn auch mehr als "romantischer Realist“ .
Das unterkühlte Pathos der Kunst des Günther Thiersch fordert zu immer neuen Entdeckungen heraus, zum Aufspüren immer anderer Spannungspaare, deren ästhetischer Reiz durch einen Schwebezustand der Aussage gefordert wird.
Bei allen Interpretationsversuchen sei dabei nochmals davor gewarnt, dergleichen von den Titeln her zu literarisch zu nehmen. Auf den Spieltrieb im Künstler, auf seinen hintergründigen Humor, aber auch auf seine tiefe romantische Anlage sei abschließend durch die Nennung zweier älterer Öle aus den Jahren 1965 und 1968 hingewiesen: "Maschinenkomposition - Musikmaschine“ und"Technische Komposition - Mondaufgang“ .
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Portrait Günther Thiersch, Bleistiftzeichnung, 5x 6 cm,
von Pedro Lima, Paris
1943