Günther
Thiersch
09. Juni 1914 - 17. Oktober 1986
Dieter Opper
Senatsrat (Staatssekretär) Bremen
Kulturmanager
Studium Freie Kunst und
Kunstpädagogik
Eröffnungsansprache zur Ausstellung am 30. April 1987 in der BauKunst-Galerie, Köln
Magischer Realismus
Der Baukunst-Galerie, dem Engagement von Frau Irene Gerling und der Beförderung durch Herrn Günther Ott ist es zu danken, dass diese Ausstellung mit Ölbildern, Zeichnungen und Radierungen von Günther Thiersch als Retrospektive – nach einer Ausstellung 1974 im Bonner Kunstverein – überhaupt erstmals in der Kunststadt Köln und der angrenzenden Region über das jetzt nachgelassene Werk informiert.
Das physisch durch Kriegsverwundungen so zerbrechliche und gefährdete, mit aller Zähigkeit, Entschiedenheit und Intelligenz geführte Leben, endete im Oktober 1986, als eine sehr umfängliche Ausstellung, von einem sehr schönen, wie immer von Günther Thiersch selbst redigierten Katalog begleitet, in Washington und Rockville / Maryland, USA auf Wanderschaft war.
Bilder, Bildwelten sind auch die Summe eines Lebens, Mitteilung von Welterkenntnis und Ausdruck von Fähigkeiten und Tätigkeiten zur Person des jeweiligen Autors, seinen „im Bild“ einsichtigen Neigungen, Interessen und wie wir wissen: manchmal auch Zwängen.
Günther Thiersch, 1914 – mit Beginn des 1. Weltkrieges – in Neumarkt (Schlesien) geboren, 72-jährig verstorben, war seit 21 Jahren in der künstlerischen Öffentlichkeit präsent, vorrangig in der schleswig-holsteinischen Kunstszene, wo er in der Nachkriegszeit gelebt hat. Was die Genesis seines Werkes betrifft, folglich nie ein Altmeister, auch in der damaligen Startsituation 1965 nicht, nie ein Nachwuchskünstler, um den sich die Galeristen begierig hätten reißen können, vielmehr einer der verlorenen Generation, der Wolfgang-Borchert-Generation –.Wolfgang Borchert hat 1946 in Hamburg sein Stück „Draußen vor der Tür“ geschrieben – einer der 1914 – 24 Geborenen, die, wie Heinrich Böll schrieb, größtenteils schon längst unter der Erde lagen, ohne dass die Bestattungsunternehmer ihr Geschäft damit hätten betreiben können.
Während seiner Seefahrtszeit von 1935 – 1945, über 10 Jahre mit technischen Dingen konfrontiert, nach dem Krieg mit dem Gedanken für ein Architektenstudium als Neuanfang spielend, bleibt dieses Technische nicht ohne Wirkung auf die Bildwelt von Günther Thiersch. Er sagte selbst: „Wie stark in meinem Unterbewusstsein die einzige reale Konfrontation mit der Technik, nämlich während meiner Seefahrtszeit, nachwirkt, merke ich selbst und der mit meiner Vergangenheit vertraute Betrachter meiner Arbeiten oft sehr eindringlich. Verbundeisen, Rohre, Ketten, metallene Platten, Handräder und Räderwerke, Hebel und Kolben, Tücher wie killende Segel und schmutzige Kittel über Tafeln gehängt sind Attribute der Seeschifffahrt und die geplatteten Stahlwände – ich komme noch kurz auf Franz Radziwill zu sprechen – die die engen Räume begrenzen, werden in den verstellten Horizonten meiner technischen Kompositionen zu formalen und sinngehaltlichem Eigenleben erweckt.“
Die berufliche Neuorientierung vollzieht sich mit einem Studium der Kunsterziehung und Werklehre an der Landeskunstschule Hamburg und einem Zusatzstudium der Geographie und Kunstgeschichte an der Universität Hamburg von 1946 – 1950. Horst Janssen und Paul Wunderlich waren Mitstudenten der Hochschule, wo Thiersch insbesondere in den Malklassen von Prof. Ortner und Prof. Mahlau arbeitete. Paul Wunderlich, Jahrgang 1927, von 1947 – 1951 an der
Landeskunstschule und Horst Janssen, Jahrgang 1929, von 1946 – 1951 dort gleichfalls in der Mahlau-Klasse studierend, sagt: „Die Klasse Mahlau war ein wahrhaft exotischer Haufen … aber alle führte Alfred Mahlau ein in die Disziplin des Sehenlernens“ Die Publikation seiner Examensarbeit über „Die Kirche zu Rellingen“ macht in der Nachbetrachtung bereits deutlich, dass sich bei Thiersch hohes kunstgeschichtliches Wissen mit der Fähigkeit zur sprachlichen und graphisch-didaktischen Vermittlung vereinigt, was sich in seiner Tätigkeit auch als Autor und Illustrator zahlreicher erdkundlicher und biologischer Schulbücher und Schautafeln seit 1956 niederschlägt. Besonders 4 Bände der „Klett-Schulgalerie“, die im Laufe der 70er Jahre entstanden, enthalten für mich in ihrer didaktischen Aufbereitung auch ein Vermächtnis des „bildnerischen Denkens“ von Günther Thiersch, und seine Fähigkeit zur Kunstbetrachtung zeigt auch, dass er selbst – auch heute hier – der beste Interpret seines Bildnerischen Werkes“ gewesen wäre, und sagt gleichzeitig, dass dieses bildnerische Werk im vertieften Wissen um die Kunstgeschichte entstanden ist.
Aus der Einführung zum 3. Heft „Klett Schulgalerie“ zitiere ich: „Wenn auch Inhalt und Gehalt zur Beurteilung nicht beiseite gelassen werden dürfen und die heutige Kunstwissenschaft entgegen älteren Auffassungen diesen Aussagen wieder mehr Bedeutung beimisst, so ist doch das formale Element entscheidend für die ästhetische Beurteilung eines Bildwerkes. Hier liegt die Schwierigkeit für jegliche Art der Kunstbetrachtung, wobei es natürlich verhältnismäßig leicht ist, ein Bildwerk inhaltlich zu beschreiben, selbst wenn dieser Inhalt ungegenständlich ist.“
Und ein Stück weiter:
„Das aber, was am Kunstwerk Kunst ist, ist etwas – und er zitiert Fabri – das jenseits des Wiedererkennens durch das Wort liegt; etwas, zu dessen Definition gehört, dass man‘s nicht definieren kann.“
„Ich habe immer eigene Bildvorstellungen gehabt, aber nie gewagt, darauf los zu malen“, sagt er. 1962/63 platzt der Knoten, fängt er an das zu machen, was er sich vorstellte, projiziert Innenbilder nach außen, von Anfang an perfekt. Es entstehen Arbeiten, von denen Joachim Kruse in ihrer auffallenden Thematik und Gestaltung sagt, „dass die „Neue Sachlichkeit“ und der „Magische Realismus“ der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts dem ersten Eindruck zum Trotz, kaum Vergleichbares bereithält. Die Wurzeln der Thierschen Arbeiten liegen tiefer in der Vergangenheit. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass sie wie Fremde in der Gegenwart erscheinen.“
Befragt nach seinem breiten kunstgeschichtlichen Wissen, den möglichen Vorbildern, der denkbaren Belastung eines permanent präsenten „imaginären Museums“ und dem eigenschöpferischen Gestaltungsprozess, konzedierte Thiersch, dass ohne literarische Tendenz durchaus einiges seinen Niederschlag in den Bildern fände. Erst durch die eigene Arbeit war ihm bewusst geworden, was Caspar David Friedrich (1774 – 1840) gemacht hatte, Giovanni Battista Piranesi (1720 – 1778) Oder Giambattista Tiepolo (1696-1770) - auf dessen Caprici-Phantasiestücke er sich mit seinen Capriccios bezogen haben könnte -, Arbeiten des 18. Jahrhunderts, vorrangig in Oberitalien entstanden, Arbeiten, auf denen sich thematisch die Zeiten gegenseitig aufheben: in alte Landschafts- oder Architekturgründe werden ganz moderne zeitgenössische Dinge hineinkomponiert, so wie Ricci in antike Kulissen seine barocken oder rokokohhaften Elemente eingearbeitet hat.
Günther Thiersch, der ein untrügliches Gefühl für Komposition hatte, der die Ausgewogenheit und das klassische Maß in seiner Natur trug, der stark graphisch-architektonisch bestimmt war, griff im Gespräch das Stichwort C.D. Friedrich auf, der gleichfalls Rationales neben Emotionalem eingebracht hat: rational gedacht, Form, klassisch gebaut, emotional gemacht, Stimmung romantischer Inhalt.
„Franz Radziwill verdanke ich alles“ sagte Günther Thiersch. Um zu erfahren, wie man malt, die Malverfahren und Maltechniken kennenzulernen, hatte er vor 20 Jahren den „Realisten“ in Dangast am Jadebusen besucht, Gespräche über 2 Tage geführt und sich alle Tricks des malerischen Umgangs mit Farbe bis hin zum Wachsen der Bilder zeigen und mitteilen lassen.
Bei den Bildern von Günther Thiersch handelt es sich um Ölmalerei, die über einer Grundierung mit Kreide und einem zusammenhängenden flächigen Ölgrund als Vorzeichnung das Kompositionsschema erhält, welches als Idee, als notierter Einfall in kleinen Blockzeichnungen vorgeklärt wurde. Günther Thiersch betrieb eine LICHTMALEREI, bei der erst die Schatten und dunklen Töne, hernach die Helligkeiten aufgesetzt wurden in Art einer Überschichtung von Farbschichten ins Licht, ein harter Arbeitsprozess, der sich im Machvorgang emotional verselbständigt.
Die Farbe wird unter Verzicht auf „persönliche Handschrift“ in ihrem formbildenden Charakter zur Erzielung des Raumgefüges eingesetzt, einerseits präzise, hart begrenzt für eine scharfe Plastizität der Dinge, andererseits bewusst wolkig und diffus, weich fließend im Sinne eines schwebend schwingenden Hell-Dunkel-Farbraumes.
Der Farbauftrag ist keine penible Malerei wie bei den Fotorealisten, sondern Thiersch kann ganz einfach schön und präzise malen wie auch zeichnen. Die atmende Gelassenheit des Entstehungsprozesses teilt sich uns direkt mit. Es sind ästhetische „Augenwürmer“ die uns einfangen und nicht so leicht loslassen, die uns in ihrer verhaltenen, begrenzten Farbigkeit und formalen Geordnetheit mit meistens 3 Bildebenen festhalten, uns aus der lauten, schrillen Alltagswelt zurückholen in eine scheinbar stille, überschaubare Welt, manchmal nicht –ohne Witz, jedoch: wir müssen aufpassen!
Ich zitiere ihn:
„Eine wesentlich formale Frage, deren Lösung ich in meinen Bildern suche, ist die Spannung zwischen Fläche und Raum. Dabei benutze ich nicht das auch heute wieder wesentlich verwendete Mittel der Zentralperspektive, sondern es ist mir gelungen, dem formalen Spannungselement im Raum zu Leibe zu rücken, indem ich alle Teile des Bildes im originalen Größenverhältnis und immer frontal zum Beschauer darstelle. Damit wird die Benutzung des Scheinraumes zu einem neuen zeitgenössischen Mittel künstlerischer Aussage.“
Auf Schrott- und Schuttplätzen, in den Werkstätten der Fernsehmechaniker und Klempner, auf Autofriedhöfen hatte Thiersch die Faszination des Banalen in Platten, Rädern, Muttern, Kugeln, Hebeln, Schrauben, Wasserhähnen, Röhren und Rohrleitungen, Batterien oder Steckern, Ketten oder Gittern entdeckt. Durch formale Verfremdung und Kombination zu funktionslosen künstlerischen Objekten wird mit diesem technischen Material „gespielt“, auch bei den Entwürfen für „Kunst am Bau“-Projekte.
Thiersch interessierte dabei nur die Ästhetik der Technik, nicht ihre Funktion. Er wehrt sich gegen das Missverständnis, er wolle mit seinen Motiven nur die Technik verteufeln oder den „Albtraum“ Technik darstellen und anprangern.
Die Deutung, der Sinngehalt dieser Bilder muss sich vor jeder Einseitigkeit hüten, Maschinen oder ihre Teile sind aber für ihn weder lediglich Anlass zu spielerischer Erprobung bildnerischer Mittel, noch spiegelt die funktionslos eingesetzte Technik einen Albtraum des Künstlers wider.
„Der doppeldeutige Sinngehalt meiner Arbeiten hat mich dazu veranlasst, dafür nicht nach tief schürfenden und den Beschauer leicht irreführenden Titeln zu suchen, sondern eine den äußeren Sachverhalt bezeichnende Formulierung zu verwenden, die der Phantasie des Einzelnen keine Grenzen setzt. So entstand die Bezeichnung ‚Technische Komposition‘, die, fortlaufend nummeriert und mit Jahreszahl des Entstehens versehen, alle Möglichkeiten der sinngehaltlichen Interpretation offen lässt und die Einordnung innerhalb der Gesamtbildfolge erleichtert.“ (Zitat)
Aber: kollidiert nicht die Klarheit und Festigkeit der Komposition mit der Brüchigkeit und dem Verfall dargestellter Dinge? Erweist sich dadurch die Ordnung nicht als labil? Gibt es nicht eine ganze Anzahl von Motiven in diesen Arbeiten, die beklemmende Zeichen setzen? Wenn der Untergrund rissig wird, sich nach
innen oder außen stülpt, wenn Mauerwerk wie Papier aufbricht, wenn Löcher wie Hautwunden aufgekrempelt sind oder „pellig“ abblättern wenn Notizzettel an der Wand hängen, wenn gefaltetes, geknittertes Papier etwas abdeckt, zudeckt oder Ketten und Gitter zumindest durch Schlagschatten ihre Gegenwart signalisieren, wenn das Innere eines Räderwerks nicht mehr geschützt bloßgelegt wird, ist es da nicht legitim nach dem „Dahinter“ zu fragen? Also doch VANITAS-Bilder?
Ein suggestives, magisches Eigenleben der Dinge spricht aus dieser Bilderwelt, was durch Schlagschatten, die Farbskala und den isolierten Bildausschnitt gesteigert wird. Nicht realistische Spielerei findet hier Form, sondern ein Realismus klassischer Strenge, der bei völliger Abwesenheit des Menschen die von Menschen geschaffene Welt hinterfragt, der die Gegenstände und architektonischen Relikte aus ihrer bildnerischen Welt in eine neue, geschärfte Erlebnisform im Betrachter hebt, uns befragt.
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Portrait Günther Thiersch, Bleistiftzeichnung, 5x 6 cm,
von Pedro Lima, Paris
1943