Günther
Thiersch
09. Juni 1914 - 17. Oktober 1986
Die Einordnung dieses bisher unveröffentlichten Werkes ist äußerst schwierig, seine Genese ist rätselhaft. Günther Thiersch hat dieses Werk signiert und fixiert und es dennoch nicht für gut genug befunden: Dieses Werk befindet sich auf der Rückseite eines anderen Tafelbildes (Öl auf festem Malgrund).
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Günther Thiersch bei
der Arbeit in seinem Pinneberger Atelier
- ca. 1965 -
(Foto: Familienarchiv)
Tafelbild (Öl auf festem Malgrund mit Leinen kaschiert) 1971
Dieses Bild hat zahlreiche Facetten und teilt uns sehr viel mehr mit als ich in wenigen Worten beschreiben kann. Ich möchte anhand dieses Werkes lediglich auf vier Facetten eingehen, weil sie an kaum einem anderen Bild so gut und so leicht nachvollziehbar darzustellen wären:
— Zweifelsfrei war dieses Bild von Anfang an als Studie angelegt. Der ganz konkrete "Studienzweck" ist in der Vergrößerung sogar rechts im Bild sehr gut an den Stellen erkennbar, an denen sich die Fixierung vom Untergrund getrennt hat. In diesem Bereich fühlt sich die Fixierung auch heute - nach mehr als vierzig Jahren (!) - noch einen Hauch von 'klebrig' an.
Tatsächlich hatte Günther Thiersch anfangs der siebziger Jahre Qualitätsprobleme mit seinen Materialien wegen einer unerwarteten Interaktion von Ölfarbe, Leinwand und Fixativ. Die Langzeitstabilität seiner Werke erschien ihm momentan gefährdet. Daher fertigte er diese Studie zum Zweck der Überprüfung neuer 'Materialien' an, was auch die ungewohnte Farbausarbeitung und damit fragmentartige Wirkung des Bildes erklärt.
— Dieses Bild zeigt - deutlicher als sonst vielleicht erkennbar - das künstlerische Selbstverständnis von Günther Thiersch:
Er empfand sich selbst als romantischer Formalist, da jedoch "Formalismus" unter Umständen zu negativen Deutungen Anlass geben könnte, war ihm auch "romantischer Konstruktivismus" recht, wenn man denn sein Werk etikettieren wolle, was aber keineswegs sein müsse.
Was läge also näher, als dass Günther Thiersch auch für diese Studie seiner phantasievollen Konstruktionslust freien Lauf ließe und seine formale Bild- und Kompositionssprache uneingeschränkt zum Ausdruck brächte.
— Die Konstruktion mit Zirkel, Lineal, Bleistift und mit Hilfslinien ist gut nachvollziehbar: Die Einstichstelle der Zirkelspitze für die konzentrischen Kreise ist noch gut erkennbar; die Anmutung der 'technischen Zeichnung' bestehend aus Rechtecken, Trapezen, Kreisen und Kreissegmenten für die Abrundungen ist unübersehbar; die Konstruktion wirkt sachlich und flächig, erst durch die spätere Teilkolorierung entsteht der räumliche Eindruck.
— Die Lebendigkeit in dem Bild entsteht erst durch die 'formale' und kompositorische farbliche Ausarbeitung: Der Malgrund wird zunächst
( von Vorbereitungen einmal abgesehen
- und man sehe mir die vereinfachende Darstellung nach,
die nur der besseren Verständlichkeit des Kompositionsprinzips dienen soll )
mit einer möglichst wenig detailliert ausgearbeiteten Hintergrundfarbe 'bedeckt'. Leichte Aufhellungen zur Führung des Blickes erschienen Günther Thiersch bei diesem Werk opportun, eventuelle Strukturierungen des Hintergrundes würden ebenfalls später erfolgen. Die Bildränder erhalten noch eine leichte Randabdunkelung (Vignette). Optisch wird das Bild durch einen dunklen Schatten (unten links) sowie durch einen großen Schlagschatten auf der rechten Seite abgeschlossen. Nach diesen Kompositions-elementen ist der Blick des Betrachters unausweichlich auf die technische Konstruktion gelenkt, die der Harmonie wegen links im goldenen Schnitt liegt. Bemerkenswert ist übrigens, dass der Schlagschatten keine Abbildung der Konstruktion ist, und von der Lichtführung her auch gar nicht im Bild entstehen kann, also inhaltlich gar nicht hier her gehört - er dient eben nur einem Zweck: dem der Komposition.
Die schon zitierte Teilkolorierung erzeugt dann die räumliche Wirkung, die flächige Blaufärbung (hier zum Zweck der Studie nur angedeutet) ist Stimmung gebend und erzeugt eine einheitliche Atmosphäre im gesamten Bild, Sie vereinigt und verbindet die einzelnen Kompositionselemente.
Ich finde, dies ist ein ganz besonders schönes Werk.